Depression - das unbekannte Wesen

 

Wieso unbekannt? Es weiß doch jeder, was eine Depression ist: Eine zu große Traurigkeit, bei der man sich nur etwas zusammennehmen brauche. Und dann ginge das schon wieder – meint man.

 

Dieses Missverständnis hat schon viel unnötiges Leid erzeugt. Es leiden die Betroffenen, die sich keine Hilfe holen. Es leiden die Angehörigen, die es sich (und ihrem Kranken) unnötigerweise noch schwerer machen! Denn auf der großen DGPPN - Tagung in Berlin 2003 hörte ich, dass von allen Kranken nur die Hälfte zum Arzt geht (oder zum Therapeuten), davon wird nur die Hälfte richtig diagnostiziert und von denen wird nur die Hälfte richtig behandelt. Wie viel vermeidbares Leid wird da zugelassen!!

 

Nach meiner Beobachtung sind 20% bis 40% aller depressiv Kranken überhaupt nicht deprimiert, überhaupt nicht traurig verstimmt. Sie haben ein Gefühlsleben fast genauso wie jedermann sonst. Und weshalb sind sie doch depressiv krank? Weil ihre innere Energie nicht stimmt, ihre Kraft für die täglichen Dinge des Lebens, weil sie die  „Antriebsmangel-Krankheit“ haben. Dazu zahlreiche körperlichen Symptome wie Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen, Halsschmerzen, Nackenschmerzen, Brustschmerzen, Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, Lendenschmerzen, Oberschenkelschmerzen, Unterschenkelschmerzen, Fußschmerzen, Oberarmschmerzen, Unterarmschmerzen, Handschmerzen – und die Ärzte finden immer nichts. Hinzu kommen: Schlafstörungen, Angstzustände ohne Grund, Störungen des Appetits, Störung des sexuellen Appetits – und immer diese quälende Mattigkeit, Lustlosigkeit, Initiativelosigkeit, dieses morgens und abends Erschöpft-Sein! Die international meist gebräuchliche Hamilton-Depressions-Skala kennt 21 verschiedene Symptome, die für diese Krankheit typisch sind. Davon sind depressive Verstimmung, Schuldgefühle und Selbstmordgedanken nur drei von den 21 Symptomen. Die anderen 18 betreffen andere seelische und körperliche Störungen!

 

Fazit: Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass diese geheimnisvolle Krankheit, von mir „Antriebsmangel-Krankheit“ oder „Energielosigkeits-Krankheit“ genannt, nur drei Arten von Menschen bekannt ist:

  1. Den Betroffenen, wenn sie sie erklärt bekommen haben (sonst leiden sie unbekannterweise; gelitten wird!)
  2. Den Angehörigen, weil sie den wellenförmigen Verlauf dieser Krankheit miterleben, das Auf und Ab, und sich sagen, dass es für die Besserungen und Verschlechterungen doch gar keinen einleuchtenden Grund gibt!
  3. Etwa 5% der Ärzte

 

Wenn Sie also schlussfolgern, dass Ihre Chancen gering sind, eine solche Krankheit richtig diagnostiziert und richtig behandelt zu bekommen, dann haben Sie leider recht!

 

 

 

 

 

Therapie:

 

a)    Die Erkenntnis, eine Störung bzw. eine Krankheit zu haben, die durch Behandlung besser werden kann.

b)   Die Diagnose durch einen Fachmann, der vor allem entscheiden muss, ob es sich um eine „Software-Störung“ oder eine „Hardware-Störung“ handelt.

 

Dabei heißt „Software-Störung“, dass wir im Laufe unseres Lebens falsche Programme, falsche Normen, Richtlinien, und innere Überzeugungen gewonnen haben, die vielleicht damals richtig waren, die aber jetzt nicht mehr für uns richtig sind sondern uns krank machen. Das können wir aber nicht mehr richtig erkennen, getreu dem Titel eines Buches von Alice Miller: „Du sollst nicht merken!“. Um die krankmachenden Programme doch noch zu „merken“ und danach ändern zu können, braucht es eine andere Person, die doch „merkt“.  Das ist die Psychotherapeutin, der Psychotherapeut.

Oder ob es sich um eine „Hardware-Störung“ handelt in dem Sinne, dass die chemischen Prozesse in unserem Nervensystem nicht richtig funktionieren, dass wir unter einer Störung der Botenstoffe (Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, Acetylcholin, Gamma-Amino-Buttersäure) leiden? Und chemische Störungen werden logischerweise chemisch behandelt, d.h. mit Medikamenten. 

  

Wenn ich mit dem Auto von  Punkt A nach Punkt B fahren will, ist zweierlei erforderlich: Erstens muss ich wissen, wo es lang geht! Und zweitens brauche ich genügend Benzin im Tank. Und „wissen, wo es lang geht“ ist die Software-Störung, erfordert Psychotherapie. „Nicht genügend Benzin im Tank“ ist die Hardware-Störung und braucht die medikamentöse Therapie. Weil die eine Störung meistens auch die andere auslöst, ist häufig eine Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Therapie erforderlich.

 

Zur medikamentösen Therapie muss man unbedingt folgendes wissen:

Die Tabletten wirken nicht Stück für Stück, so wie eine Schmerztablette oder eine Angst lösende Beruhigungstablette. Sie bewirken eine langsame Umstimmung im Körper, genau wie ein körperliches Training seine Zeit braucht. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der am dritten Tag seines Trainings dickere Muskeln hatte. Man hatte höchstens Muskelkater! Nach demselben Gesetz braucht eine antidepressive Medikation wenigstens zwei bis drei Wochen, bis die Wirkung spürbar wird. Man sollte die Dosis klein anfangen und bis zur wirksamen Dosis steigern. Auch da greift das Beispiel vom körperlichen Training: Denn wenn ich völlig untrainiert in den ersten Tagen je acht Stunden trainieren möchte, kann ich das spätestens am dritten Tag vor übermäßigem Muskelkater nicht mehr. Sie sehen: Die Gesetze des vorsichtigen Aufdosierens bis hin zur wirksamen Dosis gelten in vielen Lebensbereichen. Sie sind einfach vernünftig!)

 

Im übrigen verweise ich jetzt auf meine Dosisanweisung. Darauf finden Sie auch die wichtige Aussage über Ihre Heilungschancen: Bei 50% aller Kranken gut, bei weiteren 30% befriedigend, bei 5 bis 10% kaum und bei 10% bis 15% gar nicht.